Ein Kind unserer Zeit – Ödön von Horváth



Einer nimmt sie aufs Korn und drückt ab – die Gestalt schreit auf und fällt. Es ist eine Frau. Jetzt liegt sie da. Ihr Haar ist weich und zart, geht es mir plötzlich durch den Sinn und einen winzigen Augenblick lang muß ich an das verwunschene Schloß denken. Es fiel mir wieder ein. Und nun geschah etwas derart Unerwartetes, daß es uns allen die Sprache verschlug vor Verwunderung.Der Hauptmann hatte sich erhoben und ging langsam auf die Frau zu – Ganz aufrecht und so sonderbar sicher. Oder geht er der Scheune entgegen?

Er geht, er geht – Sie werden ihn ja erschießen – er geht ja in seinen sicheren Tod!
Ist er wahnsinnig geworden?!

In der Scheune steckt ein Maschinengewehr – Was will er denn?! Er geht weiter. Wir schreien plötzlich alle: »Herr Hauptmann! Herr Hauptmann!« Es klingt, als hätten wir Angst – Jawohl, wir fürchten uns und schreien – Doch er geht ruhig weiter. Er hört uns nicht. Da spring ich auf und laufe ihm nach – ich weiß es selber nicht, wieso ich dazu kam, daß ich die Deckung verließ – Aber ich will ihn zurückreißen, ich muß ihn zurückreißen! Da gehts los – das Maschinengewehr.

Ich sehe, wie der Hauptmann wankt, sinkt – ganz ergeben – Und ich fühle einen brennenden Schmerz am Arm – oder wars das Herz? Ich werfe mich zu Boden und benutze den Hauptmann als Deckung.

Er ist tot.

Da seh ich in seiner Hand was Weißes – Es ist ein Brief. Ich nehm ihn aus seiner Hand und hör es noch schießen – aber nun schützt mich mein Hauptmann. »An meine Frau«, steht auf dem Brief. Ich stecke ihn ein und dann weiß ich nichts mehr.


Ein Kind unserer Zeit

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