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Über das Recht, Freunde zu kritisieren
Vortrag vor der anglo-israelischen Gesellschaft London
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Ende 1947 – die Asche des Zweiten Weltkrieges war noch nicht abgekühlt – gelang es mir, die noch ungeschönten Lager von Bergen-Belsen und Dachau zu besuchen. Und bis zum heutigen Tag gibt es nichts, kein Museum, keinen Film, wie gut sonst auch immer, nicht einmal ein Buch, das sich in der Wirkung mit dem lebendigen Eindruck vergleichen liesse, den diese Orte, nur zwei Jahre, nachdem dort die letzten Insassen umgebracht und die Überlebenden befreit worden waren, auf mich gemacht haben.
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Diese gesichtslosen Menschen haben anscheinend vergessen, falls sie es denn je gewußt haben, dass das 20.Jahrhundert – oder irgendein anderes Jahrhundert – nicht von den Neinsagern, sondern von den Jasagern zugrunde gerichtet wurde. Von den Konformisten, …, denjenigen, die nichts zu sagen wagten oder Dinge sagten, die sie selbst nicht glaubten.
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Ich bedaure sehr, dass ich auf sie gehört habe. Ich hätte mich niemals auf diese Korrektheitssprache und diese Gedankenpolizei einlassen sollen. Ich hätte sagen sollen: Ich weiß, wo mein Herz schlägt, ihr wißt es nicht. Ich hätte meine Gedanken und Gefühle aussprechen und mich jeder Kritik stellen sollen. Es gab einmal die Zeiten, als wir (als Schriftsteller) einander zusprachen, dass dies der einzig richtige Weg ist.
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Die anständigen Nationen bilden eine Familie. Gute Männer und Frauen jeder Nation sind es einander schuldig, die Wahrheit gegen die zu verteidigen, die sie immer raffinierter zu manipulieren wissen.
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John le Carré. Alle Arten von Verrat